September 2022 - Herbstlese
Sehr geehrte Damen und Herren,
am besten nehmen wir die Welt, oder bescheidener: unsere Verhältnisse und unsere Umgebung, aus verschiedenen Blickwinkeln wahr. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Bevor wir uns also im Oktober den wieder überwiegend heiteren Verlagsneuerscheinungen widmen, soll es heute mit brennenden Themen und zwei dazu passenden Uraufführungen noch einmal ernst werden. Gerade dann ist das Theater gefordert, denn es ist ja die körperliche Präsenz der Darstellung, die dem Publikum ein sinnliches uumfassendes Verstehen ermöglicht.
In Brauneck erlebte diesen Monat „72 Stunden. Eine Anklage“ von Barbara Plagg die südtiroler Erstaufführung. Barbara Plagg wendet sich in ihrem Stück, einer theatralen Recherche, der Frage zu, wie es sein kann, dass Morde an Frauen immer noch nicht als das benannt werden, was sie sind: Femizide. Mit „72 Stunden. Eine Anklage“ gelingt es ihr, die nötige Sensibilität für ein tiefgehendes Problem zu wecken, ohne mit dem Finger auf Einzelne zu zeigen.
Über den Link https://www.barfuss.it/leben/eva-retten erfahren Sie Näheres zum Stück und zur Aufführung.
Die Folioausgabe der „NZZ“ widmete sich kürzlich den technischen Standards Künstlicher Intelligenz. Mittlerweile ist eine elaborierte KI so schnell und kreativ, dass sie jede menschliche Leistung auf vergleichbaren Feldern weit hinter sich lässt. Müssen wir uns als Menschen also entmachtet fühlen? Das müssen wir wohl, solange wir nur „Leistung“ messen. Der eigentlich menschliche Bereich liegt offenbar auf anderem Gebiet. Und wie definiert man z.B. „Schuld“, wenn die „Gedanken“ eines Pflegeroboters tödliche Folgen haben? Dieser Frage geht Anne M. Keßel in ihrem Gerichtsdrama „Robin“ nach. Am Werkstatttheater Kiel fand dieser Tage die Uraufführung statt: https://www.werkstatt-theater-kiel.com/robin/
„Lampedusa“ von Gilles Boulan führt auf feinfühlige Art und Weise ins Zentrum einer unserer globalen Katastrophen, der Flucht und Vertreibung von Millionen Menschen infolge von Krieg und Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen. „Lampedusa“ beschreibt das Schicksal einer ägyptischen Familie und die Fremdheitserfahrung im Exil, in diesem Fall in Frankreich.
Thematisch passend gleich hier noch ein Ausblick auf eine Neuerscheinung im Oktober: „Moses, die Sonne“ von Laurent Contamin ist ein Kinder- und Jugendstück, ebenfalls aus dem Französischen. Eine Gruppe Kinder/Jugendlicher findet in einer Gartenhütte ein Baby, das offenbar von seiner geflüchteten Mutter dort versteckt und in Obhut gegeben wurde. Die Gruppe entwickelt einen abenteuerlichen Plan, wie sie das Kind zu einem Verwandten ins Ausland bringen könnten ... (Dieses Stück für 10 – 16jährige können Sie demnächst auch anlesen, aber jetzt schon unverbindlich als Leseexemplar vorbestellen.)
Die Anthologie „Heimat suchen. Geschichten und Szenen von Flucht und Heimweh“ (Hrsg. Gerd Müller-Droste, Henning Fangauf, 138 S., 16,80 Euro) knüpft direkt hier an. In 33 Szenen, Gedichten und Kurzgeschichten beschreiben überwiegend junge Autorinnen und Autorinnen aus europäischen und außereuropäischen Ländern ihre Verlust-, aber auch ihre Heimaterfahrungen. Diese Beiträge sind entstanden während eines Schreib- und Theaterprojekts in Frankfurt am Main, das von den Theaterpädagogen Lorenz Hippe und Almut Mölk unter dem Stichwort „Heimat“ 2021 veranstaltet wurde. Theater, Schulen und Bildungseinrichtungen finden in diesem Buch reichhaltige Anregungen zur szenischen Bearbeitung, falls die Beiträge nicht nur einfach gelesen werden. Der Hessische Rundfunk brachte dazu ein Interwiev mit einem der Herausgeber:
https://www.hr-inforadio.de/podcast/kulturlust/klischeefrei-und-global-von-heimat-und-heimweh,podcast-episode-104626.html
Und zum Schluss soll noch für unsere Zeitschrift „Spiel und Theater. Zeitschrift für das Theater von und mit Jugendlichen “ (Hrsg. Sina Kuhlins, Klaus Wegele) die Trommel geschlagen werden. „Transkulturalität“ ist das Schwerpunktthema der Oktoberausgabe.
Nina de la Chevallerie verdeutlicht am Beispiel des boat people projekt eine gelungene Form für Diversität und Transkulturalität in der Praxis. Leyla Ercan verfolgt in ihrem Artikel Diversitätsansätze und Diskriminierungskritik in der kulturellen Bildung.
Beide Autorinnen waren Referentinnen auf der Zentralen Arbeitstagung des BVTS im Frühjahr 2022. Tonio Kempf gibt einen Gesamtüberblick über die Tagung und überlegt, was „Transkulturalität für das Schultheater bedeutet und wie sich der BVTS dazu positioniert.
„Spiel und Theater“ kann einzeln (6,50 Euro + Versand) oder im Abonnement (12,00 Euro + Versand, 2 Hefte pro Jahr) bezogen werden.
- Unsere Theaterstücke, aber auch Auszüge aus der Anthologie und anderer Fachbücher , können Sie auf www.dtver.de anlesen. Auf Wunsch und gegen Unkostenbeteiligung versenden wir die Stücke jederzeit auch unverbindlich mit komplettem Inhalt.
- Wir freuen uns über Ihre Post unter theater@dtver.de und Ihre Anrufe unter 0049.6201.87907-0.
Anregende Lektüre wünscht Ihnen
Ihr
Deutscher Theaterverlag
Gabriele Barth